Ölförderer fackeln Gas im Wert von 40 Milliarden Dollar ab

Es ist eine gigantische Energieverschwendung. Bis zu 170 Milliarden Kubikmeter Erdgas werden jährlich auf Ölplattformen weltweit abgefackelt oder abgelassen. Wert: 40 Milliarden Dollar. Dadurch wird die Atmosphäre im großen Stil mit den Klima-Killern CO2 und Methan belastet.
Trotz Klimawandel, Kyoto-Protokoll und knappen Ressourcen:

Die Ölindustrie fackelt unverändert große Mengen Erdgas einfach ab, die bei der Förderung von Öl aus Lagerstätten auf See oder an Land zwangsläufig mit anfallen. Über 20 Länder haben diese Art der Entsorgung in den letzten zwölf Jahren sogar ausgebaut, manche verbrennen weitaus mehr Gas auf Bohrinseln und in Förderfeldern, als sie bisher offiziell einräumten.

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der US-Wetterbehörde NOAA auf Basis von Satellitenbeobachtungen. Auftraggeber war die Weltbank. Sie hatte vor fünf Jahren eine globale Initiative gestartet mit dem Ziel, die noch immer gängige Praxis zu ändern und das Gas sinnvoll, sprich: zur Energieerzeugung, zu nutzen.

Nach der NOAA-Analyse fackeln die Ölförderer jedes Jahr zwischen 150 und 170 Milliarden Kubikmeter Erdgas ab. Das sind mehr als fünf Prozent der weltweiten Produktionsmenge, wie die Autoren schreiben: „Würde man das Gas in den USA verkaufen, hätte es einen Marktwert von rund 40 Milliarden Dollar.“

Wie groß die vergeudeten Erdgasmengen sind, verdeutlicht auch Bent Svensson, Chef der Anti-Abfackelungsinitiative der Weltbank: „Verfeuerte man die 40 Milliarden Kubikmeter, die in Afrika jedes Jahr abgefackelt werden, in modernen Kraftwerken, könnte man die Stromerzeugung südlich der Sahara glatt verdoppeln.“

Mit der Gasverbrennung am Ort der Ölförderung geht zugleich eine starke Klimabelastung einher. Etwa 400 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid entstünden beim globalen Abfackeln Jahr für Jahr, heißt es in dem Report. Das entspricht fast der Hälfte der gegenwärtigen CO2-Emission Deutschlands. „Gemessen an den Treibhausgasmengen, die die Industrieländer nach dem Kyoto-Protokoll bis zum Jahr 2012 vermeiden müssen, sind das 13 Prozent“, sagt Weltbank-Experte Svensson.

Es gibt sogar Ölfelder, auf denen man das Erdgas unverbrannt in die Atmosphäre entweichen lässt. Das ist noch schlechter fürs Klima, denn Methan, der Hauptbestandteil des aus der Tiefe geholten Kohlenwasserstoff-Gemisches, hat ein etwa 20 Mal höheres Treibhauspotential als Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Erdgas entsteht.

Abfackel-Statistik: Russland verbrennt nach Berechnungen der Forschern das meiste Erdgas

Um ihre Weltkarte der unnützen Emissionen in der Ölbranche zu erstellen, griffen die NOAA-Forscher auf Daten US-amerikanischer Satelliten aus den Jahren 1995 bis 2006 zurück. Mit ihren Bordkameras schossen sie flächendeckend Tele-Fotos der Erdoberfläche aus über 700 Kilometern Höhe, sowohl im Bereich sichtbaren als auch infraroten Lichts. Für die Analyse ausgewählt wurden nur Nachtaufnahmen bei wolkenlosem Himmel.

Weil Ölfördergebiete fast alle außerhalb bevölkerter Landstriche liegen, treten die Gasfackeln in den hochaufgelösten Bildern deutlich als Punktquellen hervor. Auch Waldbrände werden auf diese Weise von Satelliten permanent erfasst und dokumentiert. Die NOAA-Forscher entwickelten und benutzten schließlich spezielle Algorithmen, um aus der Intensität der Flammen die verbrannten Erdgasmengen abzuleiten.

Rund 50 Milliarden Kubikmeter Gas fackelt demnach allein Russlands Ölindustrie jedes Jahr nutzlos ab – ein Drittel der globalen Gesamtmenge. Diese Zahl ist um ein Mehrfaches größer als die 15 Milliarden Kubikmeter, die Russland vor drei Jahren offiziell angegeben hat.

Auch Länder wie Kasachstan, Saudi Arabien und China haben ihren Beitrag offenbar untertrieben und werden durch die Satellitenbeobachtungen als stärkere Verschmutzer der Atmosphäre entlarvt. Russland und Kasachstan hebt die Studie zugleich als jene Ölförderländer (neben Iran) hervor, in denen das Abfackeln von Gas zwischen 1995 und 2006 zugenommen habe, und zwar um drei bis zehn Milliarden Kubikmeter jährlich.

15 Ländern und Fördergebieten attestiert die Studie dagegen einen rückläufigen Trend, darunter Norwegen und den Nordsee-Feldern. Auch Nigeria, das bisher als größter Gasvergeuder auf seinen zahlreichen Ölbohrinseln im Golf von Guinea galt, fackelt demnach nicht mehr so viel ab wie noch Mitte der neunziger Jahre.

Anders als Russland ist der westafrikanische Staat in die Reduktionsinitiative der Weltbank eingebunden, bringt es aber immer noch auf über 20 Milliarden Kubikmeter Fackelgas pro Saison.

„Das meiste Erdöl wird in entlegenen Gegenden gefördert, oft draußen im Meer, weit weg von potentiellen Abnehmern für das Gas“, umreißt Bent Svensson das grundsätzliche Problem. „Der Schlüssel für seine Verwertung“ sei daher der Aufbau einer geeigneten Infrastruktur, an der es bisher fehle und die, wie der Schwede anregt, von mehreren Förderunternehmen in demselben Gebiet gemeinsam aufgebaut und genutzt werden könnten.

Svensson weiß aber auch: Beim derzeitigen Ölpreisniveau und den Profiten, die die Energiekonzerne machen, sieht keiner von ihnen einen Anreiz, auch noch in die Gasverwertung zu investieren. Attraktiv ist das allenfalls in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls greift.

Erfüllt ein Projekt die CDM-Standards und führt nachweislich zu einer Reduktion von Treibhausgas-Emissionen, streichen seine Initiatoren dafür CO2-Zertifikate ein, die sie im Rahmen des Emissionshandels verkaufen können.

Im ölreichen Golf von Guinea gibt es inzwischen ein erstes nigerianisches Pilotprojekt, das nach dem CDM-Prinzip registriert wurde. Das Erdgas wird teils in die Lagerstätte zurück injiziert, teils per Pipeline zu einem Gaskraftwerk befördert. Dort entsteht bei der Stromerzeugung dann weniger CO2 als bei der (in Nigeria noch anzutreffenden) Verwendung von Öl als Brennstoff.

Laut Svensson bereitet die Weltbank weitere derartige CDM-Projekte vor, unter anderem in Indonesien und Katar. Zusammengenommen sollen alle Aktivitäten im Rahmen der Anti-Abfackelungskampagne dazu führen, dass die Atmosphäre um die 32 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis zum Jahr 2012 entlastet wird.

Verglichen mit den 400 Millionen Tonnen, die die lodernden Gasfeuer der Ölindustrie alljährlich emittieren, ist das allerdings nur ein kleines CO2-Wölkchen, das der Atmosphäre erspart bleibt.

Von Volker Mrasek Quelle: spiegel-online.de